Aufnahmezwang für Spitzensportverbände – Recht auf Sport für jeden?
OLG München Urteil vom 24.01.2019 – 29 U 1781/18 Kart
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Einleitung
Gleich zu Beginn des Jahres 2019 entschied der Kartellsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München über eine Frage, die sowohl für alle Sportinteressierten als auch für Sportverbände von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Als Kläger trat ein Taekwondo-Landesverband auf, welcher einen bundesweiten Spit-zenverband der Taekwondo-Landesverbände als Beklagten auf die Aufnahme in seinen Verband in Anspruch nahm.
Das OLG hatte somit über die Reichweite der Entscheidungsfreiheit von Spitzenver-bänden zu entscheiden, inwieweit Mitglieder aufgenommen werden müssen.
Dieses Urteil hat daher weitreichende Konsequenzen für alle in Verbänden organisier-ten Sporttreibenden. -
Zum Sachverhalt
Der klagende Taekwondo-Landesverband begehrte die Aufnahme in den Verband des Beklagten, dem bundesweit nicht nur 17 Landesverbände angehören, sondern der auch Mitglied des deutschen olympischen Sportbundes ist und als einziger Verband Deutsch-lands eine offizielle deutsche Nationalmannschaft bei internationalen Wettbewerben stellt. Nur über die Mitgliedschaft bei der Beklagten ist es möglich, Sportförderung und Sporthilfe im Bereich des Taekwondo-Sports zu erhalten und nur über diesen Verband können offizielle Prüfungen zum Erwerb von Gürteln abgelegt werden.
Grundlegende Nachweise, um die Seriosität und Befähigung eines Trainers oder Ein-zelsportlers zu belegen (mittels der Einstufung durch das Tragen eines Gürtels), kön-nen die Sporttreibenden somit nur über die Mitgliedschaft in diesem Verband erlan-gen.
Bei fehlender Mitgliedschaft ist es folglich dem Verband und all seinen Mitgliedern verwehrt, allgemein anerkannte Befähigungsnachweise zu erlangen, unabhängig von tatsächlichen Kenntnissen oder Fähigkeiten.
Die schwerwiegenden Nachteile einer Nichtmitgliedschaft liegen folglich auf der Hand.
Der Antrag des Klägers auf Aufnahme des Landesverbandes wurde Anfang 2018 jedoch mit der Begründung abgelehnt, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Verband der Beklagten.
Diese Voraussetzungen ergäben sich aus der Satzung der Beklagten, welche auszugs-weise bestimmte:
„… dass eine Mindestanzahl von 25 Vereinen als ordentliche Mitglieder mit mindestens insgesamt 2.500 Sportlern notwendig zur Aufnahme ist“ und weiter:
„die Mitgliedschaft in einem Landessportbund (LSB) mit Angabe der LSB-Nr. nachzu-weisen ist“ und:
„ordentliches Mitglied der DTU können die als gemeinnützig anerkannten Taekwondo-Landesverbände in der Bundesrepublik Deutschland werden, die Mitglied in ihrem je-weils zuständigen DOSB-Landessportbund sind. Für den Bereich eines Landessportbun-des kann nicht mehr als ein Landesverband ordentliches Mitglied sein.“
Hiergegen wandte sich der Landesverband und begehrte weiterhin die Aufnahme in den Verband des Beklagten mit einer Klage vor dem LG München I. Dieses gab dem Kläger in erster Instanz mit Urteil vom 25.04.2018 (Az. 37 O 7111/17) recht und verur-teilte die Beklagte zur Aufnahme des Landesverbandes.
Der Beklagte wehrte sich gegen dieses Urteil des LG München I mit Einlegung der Be-rufung. Diese wurde vom Kartellsenat des OLG München allerdings abgewiesen, der Beklagte wurde auch in zweiter Instanz zur Aufnahme des Klägers verurteilt. -
Einführung in die Probleme
Wesentliche Frage des Falles war, ob die grundsätzliche Wahlfreiheit von Vereinen und Verbänden bezüglich ihrer Mitglieder im vorliegenden Fall eingeschränkt sein könnte und der Bewerber deshalb einen Anspruch auf die Mitgliedschaft gegen den Willen des Spitzenverbandes haben könnte.
Im Spannungsverhältnis standen somit die in der Privatautonomie verankerte Vertrags-freiheit des Spitzenverbandes und das berechtigte Interesse des Landesverbandes an der Aufnahme in den Spitzenverband. -
Darstellung und Analyse
Das LG München I bezog sich in seiner Entscheidung zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 02.12.1974, Az. II ZR 78/72), wonach ein Verein oder Verband, welcher im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine überra-gende Machtstellung oder gar Monopolstellung innehat, zur Aufnahme des Bewerbers verpflichtet sein kann, wenn ein wesentliches oder grundlegendes Interesse am Beste-hen der Mitgliedschaft vorliegt.
Damit statuierte der BGH eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass jeder Verein frei darüber entscheiden kann, welche Bewerber er aufnimmt und welche er ablehnt.
Darüber hinaus soll die Ablehnung des Aufnahmeantrages unter Berufung auf eine sat-zungsmäßige Aufnahmebeschränkung, deren Zweck sachlich berechtigt ist, unwirksam sein, wenn der Zweck dieser Beschränkung auch durch ein milderes Satzungsmittel er-reicht werden kann und dieses Mittel die Mitgliedschaft ermöglicht.
Unter „milder“ ist dabei ein Mittel zu verstehen, welches gleich effektiv zur Erreichung des sachlichen Zweckes ist, dabei aber in seinen negativen Folgen abgeschwächt wirkt.
Hierdurch soll eine Diskriminierung von Antragstellern vermieden werden.
Auf Basis dieser Erläuterungen lehnt das OLG die Anwendung der oben beschriebenen Satzungspassagen mit der Begründung ab, dass diese den Antragsteller diskriminieren würden.
In der Folge setzt sich das OLG detailliert mit jeder einzelnen Passage der Satzung auseinander.
Die Regelung, dass lediglich ein Landesverband pro Landessportbund die Aufnahme er-reichen kann, benachteilige die übrigen Landesverbände, da diese lediglich nach dem Prinzip des schnellsten Antragstellers Plätze vergebe.
Die Regelung über die Mindestanzahl an Verbandsmitgliedern ist aus Sicht des OLG bereits deshalb unwirksam, da gerade einmal 6 der 17 Mitglieder des Spitzenverban-des die dort enthaltenen Voraussetzungen überhaupt erfüllen (und dadurch eine Dis-kriminierung für neue Verbände entsteht, welche diese Voraussetzungen sodann erfül-len sollten).
Ebenso seien die genannten Voraussetzungen derart hoch, dass die allerwenigsten Verbände diese erfüllen könnten, selbst wenn sie in ihrer Größe die bereits aufge-nommenen Verbände erheblich übertreffen würden.
Die Voraussetzung der Mitgliedschaft in einem Landessportbund sei bereits dann er-füllt, wenn der aufzunehmende Verband in einem Dachverband Mitglied ist, welcher sodann selbst Mitglied des Landessportbundes ist.
Ein berechtigtes Interesse an der Mitgliedschaft ergibt sich aus den oben dargestellten Vorteilen, welche zum Teil notwendig sind für eine Ausübung der Verbandstätigkeit. -
Fazit
Das OLG München zeigt dem Spitzenverband im vorliegenden Fall klare Grenzen für die Ausübung der Privatautonomie auf und stärkt die Rechte der Sportverbände und der einzelnen Sporttreibenden.
Für den Fall, dass ein Sportverband eine Monopol- oder monopolähnliche Stellung in-nehat, wird dessen Freiheit zur Auswahl der Mitglieder spürbar eingeschränkt.
Spitzenverbände (welche zumeist eine monopolähnliche Stellung besitzen) sind daran gehalten, ihre Satzungen streng an dem Erfordernis der Gleichbehandlung und Chan-cengleichheit auszurichten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen eine (zunächst kom-plette und ersatzlose) Unwirksamkeit ihrer Klauseln im jeweiligen Bereich hinnehmen zu müssen.
Dies wird deshalb vorausgesetzt, da solche Verbände mit steigender Machtstellung dem Privatrecht (und folglich der Privatautonomie) entschwinden und rein tatsächlich immer mehr in den öffentlich-rechtlichen Sektor vordringen, da sie das öffentliche Le-ben mitbestimmen. Aus diesem Grund haben sie sich auch an den Erfordernissen zu orientieren, welche den öffentlichen Sektor prägen (Gleichbehandlung und Chancen-gleichheit u.a.).
Für die Mitglieder einzelner (vor allem kleinerer) Sportverbände bedeutet dieses Urteil ein enormer Zuwachs der Wahrscheinlichkeit in einem Spitzenverband aufgenommen zu werden (oder dies zumindest gerichtlich erfolgreich einzufordern) und deshalb eine enorme Stärkung ihrer Rechte bei der Ausübung ihrer liebsten Freizeittätigkeiten.
Gez. Rechtsanwältin Bettina Egler, LL.M., stud. iur. Daniel Deutschmann